Was nicht jeder weiß. Hier brandheiß!

Kategorie: Geschichte

Jostabeere und Bamberger Geschichten

Was nicht jeder weiß. Hier brandheiß!

Heute starten wir mit unserem Projekt, eine Frucht in das Licht zu rücken, das sie auf Grund ihrer historischen Verbindung zu Bamberg verdient hat. Die Jostabeere, oft abgetan als „Additionsbastard“ zwischen schwarzer Johannisbeere und Stachelbeere, spielte eine liebenswerte Nebenrolle in der Geschichte Bambergs. Diese Geschichten sollen hier erzählt werden.

Das Institut Dr. Görlitz hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kontext zu erzeugen, weil nur im Kontext verstehen und begreifen wir unsere Umwelt und uns selbst richtig. Die Jostabeere rückte in den Fokus der Forschungsarbeiten des Instituts, weil einzig diese auf der botanischen Versuchsfläche gedieh, und dies überraschend gut. Es folgten ausführliche Recherchearbeiten, die zum Ergebnis führten, dass an genau dieser Stelle schon die über die Stadt und Region hinaus berühmten Jostabeerensträucher des Erbauers und ersten Bewohners des Anwesens gediehen waren: Dr. Johann Lucas Schönlein.

Dr. Görlitz, der aus einer Familie ebenso begnadeter wie enthusiastischer Geleekocher abstammt, hat bereits einige Jahre das Jostabeerengelee unter seinem Label „Hasenhof“ produziert und als Aufmerksamkeit an Klienten, Kollegen, Verwandte und Freunde verschenkt. Ab der Saison 2021 werden alle Gläser des Hasenhofgelees einen QR-Code tragen, der auf diese Seite verweist, wo der Wissensdurst des Geleefreundes gestillt werden soll.

Schönlein und seine Beeren

Es soll hier keine Redundanz durch die Darstellung von Personen erzeugt werden, die andernorts bereits adäquat erfolgt ist. Dr. Johann Lucas Schönlein wohnte ab 1859 in dem Anwesen, in dem jetzt das Institut Dr. Görlitz wirkt.

Warum Schönlein an seinen Geburtsort zurückkehrte, schildert Rudolf Virchow in seiner Gedächtnissrede auf Joh. Lucas Schönlein : gehalten am 23. Januar 1865, dem ersten Jahrestage seines Todes“:

Sein einziger, hoffnungsvoller Sohn, der den naturwissenschaftlichen Neigungen des Vaters gefolgt war, starb auf einer botanischen Excursion im westlichen Afrika.
Diese harten Schläge trafen den sonst so starken Mann an seiner verwundbarsten Stelle. Immer mehr schloss er sich in seiner Thiergarten-Villa ab; immer häufiger zog er sich für eine Zeitlang nach Bamberg zurück. Im Ministerium gewöhnte man sich an den Gedanken seines baldigen Verlustes.
So reifte endlich der Entschluss der Entsagung. Eine kleine Zeit hielt er noch Ehren halber Stand, dann aber war seine Toleranz zu Ende. Trotz des Widerstandes der Facultät, trotz der Bitten der Collegen forderte und erhielt er Anfangs 1859 seinen Abschied, und mit den beiden Töchtern, die allein ihm geblieben waren, kehrte er wieder zu der Heimath, wo er schon lange ein Haus für sich gebaut und eingerichtet hatte.
Da lebte er wie ein wahrer Weiser, zurückgezogen, aber nicht abgeschlossen, in beschaulicher Ruhe, selbst beschäftigt in Haus und Garten 66; sein Geist schweifte wohl noch in die Ferne, aber nur zu Freunden. Seine eigentliche Thätigkeit gehörte der Vaterstadt und der Wissenschaft. Die Geschichte seiner Heimath, die Münzen der alten Fürsten, die Länder- und Völkerkunde, die Geschichte der Entdeckungen, die Literatur der Epidemien — das waren die Aufgaben, denen er fast bis zum letzten Tage nachstrebte. Aber nicht um seiner selbst willen. Was er sammelte war für Andere. Was er sorgte, war über das Grab hinaus. Er fühlte wohl, dass seine Zeit sich ihrem Ende nahe. Sein Haus ward bestellt. Den Schatz seiner Bücher, den er immer noch durch Ankäufe vermehrte, hatte er nach und nach an die Bibliotheken von Bamberg und Würzburg übertragen, und als am 23. Januar 1864, durch eine Zunahme seines Kropfübels bedingt, ein schneller Tod ihn antrat, da starb er ruhig in dem Bewusstsein, dass seine Arbeit gethan sei, recht und gerecht. Sein Angedenken möge uns heilig sein!

(Virchow, Rudolf (1821-1902); Verfasser: Gedächtnissrede auf Joh. Lucas Schönlein : gehalten am 23. Januar 1865, dem ersten Jahrestage seines Todes in der Aula der Universität, S.34 f)

Wenden wir uns dem „Haus und Garten“ zu, auf die Virchow in der Fußnote 66, S. 108ff. ausführlich eingeht und das häusliche Leben Schönleins beschreibt:

„In Bamberg führte Schönlein eine äusserst geregelte Lebensordnung. Vor 11 Uhr Vormittags pflegte er sein Haus nicht zu verlassen. Er hatte sich dieses in der Nähe des Bahnhofes, in der früher Theuerstadt genannten Vorstadt erbauen lassen. Wie schon erwähnt, lag es der Pfarrkirche zu St. Gangolf gegenüber, in der Königsstrasse, dem früher sogenannten Steinweg. Die gegen die Strasse gekehrte Seite enthält die Gänge, während alle Wohnzimmer gegen den Garten und die freie Umgebung der Stadt gerichtet sind. Gleich beim Eintritt gelangt man in einen langen hellen Corridor, dessen Wände mit Bildnissen berühmter Naturforscher und Aerzte in Broncemedaillons geziert sind. Zu ebener Erde liegt das geräumige, reich ausgestattete Gastzimmer, in welchem Schonlein es liebte, häufiger eine gewählte Gesellschaft zu bewirthen ; man geniesst von da eine herrliche Rundsicht auf die Stadt und die fruchtbaren Felder und Wiesen, welche ein Arm der Regnitz durchströmt Im mittleren Stock das Empfangszimmer, in welchem die von den Berliner Aerzten geschenkte Vase steht; daran stossend Schönlein’s Arbeitszimmer und Schlafcabinet, weiterhin die Familienzimmer. Von dem oberen Stock führt eine Stiege auf einen Thurm mit drei kleinen Zimmern, von denen aus man einen weiten Ueberblick über die schönen Umgebungen hat.

Das ist das Tusculum, wo der vielgeprüfte Mann sein Otium cum dignitate suchte. Seine Tage verliefen hier in ruhiger Ordnung. Morgens von 8 — 10 Uhr pflegte er nach dem Kaffee die Augsburger Allgemeine Zeitung zu lesen und ernstere Studien zu treiben, von 10—11 Uhr empfing er seine Bekannten. Während dieser Zeit wurden ziemlich anhaltend schwere Cigarren geraucht. Um 11 Uhr fuhr er aus, um Besuche zu machen, und wenigstens 2— 3 mal in jeder Woche erschien er gegen 11 Uhr in der Bibliothek, um die Novitäten zu mustern, selbst Bücher zu entnehmen, und zu bestimmen, was er der Bibliothek schenken wolle. Um 12 Uhr fuhr er regelmässig in das Lesezimmer der Harmonie, wo er unter anderen die Berliner Nationalzeitung fand , aber auch regelmässig die Kreuzzeitung abwartete, die erst mit der Nachmittagspost eintraf. Um 2 Uhr fuhr er nach Hause, ass zu Mittag, schlief dann etwas, und um 5 Uhr machte er einen Spaziergang ins Freie. Abends blieb er stets zu Hause, im Sommer in seinem Garten, wo er sich besonders mit der Pflege des Obstes, der Trauben und Melonen beschäftigte. Nichts gewährte ihm grösseres Vergnügen, als wenn er, wie es fast regelmässig geschah, bei der Bamberger Früchteausstellung Preise gewann.“




160 Jahre Jostabeere?

Schönlein, wie wir bereits erfahren haben, ein engagierter Gärtner und Freund des selbst gezogenen Obstes, erging sich in mancherlei botanischen Experimenten. Eine sprichwörtliche Frucht dieser oft prämierten und seitens Bamberger Gärtner anerkannten Unterfangen war seine Jostabeere.
Obzwar diese Frucht nach bisheriger Lehrmeinung dem Botaniker und Rassenhygieniker Erwin Baur zugeschrieben wird, liegen Dr. Görlitz Hinweise vor, dass Johann Lucas Schönlein diese Kreuzung aus Schwarzer Johannisbeere (ribes nigrum) und Stachelbeere (ribes uva-crispa) bereits 1860 in Bamberg gelungen war. Einen Hinweis auf die erste Ernte finden wir in einem Briefwechsel mit Karl Remeis, der den Bambergern als Astronom bekannt ist.
„Lieber Schönlein,
es drängt mich Ihnen neuerlich Dank und Lob auszusprechen ob der fürthrefflichen Marmelad, die Ihr uns habt zukommen lassen. Es ist, so sei euch treulichst versichert, Ihnen ein botanisch und geschmacklich Meisterwerk gelungen mit der Kreutzung von Johannis- und Stache
lbeer. Genossen hab ich die Marmelad auf meiner Terrasse, die Stadt überblickend.
Der Ehr sich wohl bewusst, von erster Ernt ein Glas bekommen zu haben, grüßt euch euer Freund, Karl Remeis.
Bamberg, 11.07.1861″




Erwiese sich dieser Brief als authentisch, müsste man die Geschichte der Jostabeere neu schreiben und die Botanik zu Schönleins Meriten hinzufügen. Und die Jostabeere feierte ihren 160. Geburtstag. Wir gratulieren!

Jostabeere – Die königliche Frucht?

Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach, der erste König von Griechenland verbrachte nach seiner Absetzung seinen Lebensabend in Bamberg. Ab 1862 residierte er mit seinem Hofstaat in der fürstbischöflichen Residenz, war dank seiner griechischen Tracht eine bemerkenswerte und wohl bekannte Person des Bamberger Lebens. Was verwundert es da, dass Dr. Görlitz in den Archiven folgenden Briefwechsel entdeckte:

Brief von Schönlein an Otto:
Königliche Hoheit, ich erlaub mir höflichst euch ein Glas meiner Marmelad zu obsenden, hatte die königliche Hoheit mir doch die Ehre erwiesen im Zuge ihres gestrigen Spaziergangs meinen Garten am Steinwege zu passiren. Euer königlichen Hoheit Frag nach dem neuen Beerengewächs hab ich nach aller Treu Red und Antwort stehen können und kann nun auch dem königlichen Wunsche nach Probiren folgen.
Mit treu ergebenem Gruße! Johann Lucas Schönlein
Bamberg, 12.07.1863


Brief von Otto an Schönlein.
Werter, oder sollt man schreiben lieber Schönlein, Ihr habt diesem Tage einen glänzend Beginn beschert, dieweil euer trefflich Marmelad uns selbst wie auch Amalia wohl gemundet hat. Verdient hättet ihr es wohl, dass man dieses Obst nach euch benennet, und nit vergesset. Es dankt und grüßt, Otto.
Bamberg, 15.07.1863




Es sind ansonsten keine weiteren Begegnungen zwischen dem schon kränkelnden Schönlein und Otto belegt.

Märchenhafte Jostabeere

Schönlein war eine viel gefragte Persönlichkeit, hatte dank seiner Position als Leibarzt Friedrich Wilhelms IV. einigen Einfluss. Einer, dem er einen Gefallen getan hatte, war Wilhelm Grimm, der sich in einem Brief bedankt:

„Ich wollte Ihnen, verehrtester Herr Geheimrath, vor einigen Tagen meinen Besuch machen, Sie aber waren nach Potsdam zum Könige gefahren. Ich bitte Sie nun ein paar Worte des herzlichsten Dankes anzunehmen nicht bloß für all das Gute, was Sie mir und meiner Familie erzeigt haben, auch für die theilnehmende und freundschaftliche Weise, mit der Sie es gethan haben. (…) Von Herzen der Ihrige Wilhelm Grimm“ (Berlin, 14. Januar 1842)
(Quelle: Hrsg.: Philipp Teichfischer, Eva Brinkschulte, Johann Lukas Schönlein (1793-1864): Mon chèr Monsieur Schönlein. Briefe an den Arzt, Lehrer und Vater, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016)

Die Familie Grimm war Schönlein nicht nur wegen erwiesener Dienste verbunden, wie auch der von Dr. Görlitz gefundene Brief von Jacob Grimm an Schönlein verrät:

„Verehrtester Schönlein, von Herzen danke ich euch für die ausserordenthliche Marmelad, die ihr mir zugedacht und aus dem Bairischen geschickt. Hätten wir sie seinerzeit schon gekannt, Rosenroth hätt nicht rote Beeren gesucht sondern Jostabeeren, dessen seid gewiss.
Meine Arbeit am Deutschen Wörterbuche geht langsam voran, das Alter fordert Tribut. So schreib ich heut am Artikel „Frucht“ und vielleicht vergönnet mir der Herrgott noch die Zeit wenigstens diesen zu beenden. Denn ich möcht so gern eure Jostabeer nicht nur als märchenhafte Frucht erwähnen, sondern auch das Wort erklären. Ihr habt mit der Addition von einem Theil „Johannis“ und einem Theil „Stachelbeer“ ein Portemanteau-Wort, ein Kofferwort geschaffen. Diese Kreutzung von Worten ist selten, aber ich glaub, dass in der Zukunft die Deutschen und andere Völker mehr solcher Wortkreutzungen erfinden werden. Allein erleben werd ich es nimmer.
Es grüßt euch euer Jacob Grimm (Berlin, 19.September 1863)


Am Folgetag verstarb Jacob Grimm noch während der Arbeit am Artikel „Frucht“, und wieder ging der verdiente Ruhm an Schönlein und der Jostabeere vorbei.

Archäologie und Jostabeere I

Erste Sondierungsgrabungen, die Dr Görlitz im Sommer 2020, selbstverständlich unter penibelster Wahrung aller Coronaregeln durchgeführt hat, ergaben einige äußerst interessante Funde. Diese sollen in ihrem Zusammenhang mit Schönleins Jostabeeren sukzessive dargestellt werden, um zur stetig wachsenden Evidenz beizutragen.

Der erste Fund war der inzwischen in der Fachwelt als Schönleinnagel bezeichnete schmiedeeiserne Hakennagel. Dieser ca. 6 cm lange Nagel wurde interessanterweise in der Nähe des stärksten der gegenwärtigen Jostabeerensträucher im Garten gefunden.

Nach konservatorischer Behandlung wird der Nagel zunächst vor Ort ausgestellt, es gibt allerdings schon einige Überlegungen, ihn im Rahmen von gartenhistorischen Sonderausstellungen zu verleihen, zum Beispiel an das Gärtner- und Häckermuseum Bamberg oder das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité.
Von der Interpretation des Fundes her, sieht es das Archälogenteam als naheliegend, dass der Nagel Teil des Spaliers war, an dem Schönlein seine Jostabeeren zog. Dieses Spalier und auch seine Bauweise findet in einem Brief an seinen ehemaligen Schüler Virchow Erwähnung:

Lieber und geschätzter Virchow, war ich im letzten Briefe noch im Zweifel, ob der Garten hier in Bamberg dem am Thiergarten würde gleichkommen können, kann ich ihnen nun Erfreuliches berichten. So sind meine gekreuzten Beerensträucher gut gewachsen, so weit gar, dass ich ein Spalir dafür hab requiriren müssen. An vier Pfählen, die neben und zwischen den Sträuchern eingeschlagen sind, hab ich Drahtschnuren gespannt und an eingeschlagenen Haken fixirt. So hoff ich doch, dass ich ihnen im nächsten Sommer ein Glas Marmelad werd schicken können. Es grüßt sie, wie auch eure liebe Gattin Rose, euer alter Lehrer und Freund Johann Lucas Schönlein
Bamberg, 18.10.1860